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Dieser Artikel stammt aus der Zeit meiner politischen Arbeit bis Oktober 2017 und kann überholte Informationen enthalten.
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Wir müssen endlich über Klimaflüchtlinge sprechen!

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Wie ein buchstäbliches Lauffeuer im indonesischen Regenwald hat sie sich verbreitet – die Nachricht von den geschätzten 200 Millionen Flüchtlingen. 200 Millionen Menschen,  die sich bis 2050 auf die Flucht begeben werden, wenn wir dem Klimawandel nicht entschieden entgegentreten. Schon zum jetzigen Zeitpunkt sind schätzungsweise 15 bis 20 Millionen Menschen klimabedingt auf der Flucht.

Früher konnten die Farmer in Ostafrika fast auf den Tag genau planen, wann sie Mais, Hirse oder Bohnen aussäen mussten. Die Regenzeiten kamen pünktlich, sodass auch die Ernte wie geplant stattfinden konnte. Aber das war einmal. Heute kommt der Regen zu spät, zu kurz, zu heftig oder gar nicht, sodass das Getreide nicht mehr wachsen kann. Die Aussaat wird quasi zum Glücksspiel.

Am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind die Entwicklungsländer. Der aktuelle Weltrisikobericht von „Bündnis Entwicklung hilft“ zeichnet aktuell ein alarmierendes Bild: In den Ländern, in denen es bereits an der Grundversorgung mangelt, ist die Anfälligkeit der Bevölkerung gegenüber Naturkatastrophen und Klimagefahren dramatisch erhöht. Für ca. 2.5 Milliarden Menschen weltweit hängt das Leben unmittelbar von der Landwirtschaft ab. Wenn ihre Ernten, ihr Vieh oder ihre Transportwege von einer Naturkatastrophe zerstört werden, ist automatisch ihre Existenz zerstört.  Die Hungersnot treibt sie dann in die Nachbarsstaaten, wo sie in einem Flüchtlingscamp unterkommen können. Bei den geschätzten 200 Millionen Menschen, die sich vermutlich auf den Weg machen, ist nicht auszumalen, was das für das UN- Flüchtlingshilfswerk bedeuten würde.

Gemäß der gesetzlichen Regelung der Genfer Flüchtlingskonvention gibt es nämlich gar keine Klimaflüchtlinge. Bislang ist keine Rechtsgrundlage definiert, auf die sich Menschen berufen könnten, die vor den Folgen des Klimawandels fliehen müssen – zum Beispiel, weil wiederkehrende Dürren ihre Lebensgrundlage zerstört haben oder der Anstieg des Meeresspiegels ihre Heimatregion in absehbarer Zeit unbewohnbar machen wird. Bis auf Härtefälle aus gänzlich zerstörten Gebieten,  haben diese Menschen also derzeit keine Chance, als Flüchtling anerkannt zu werden.

War der Klimawandel einer der Auslöser des Bürgerkriegs in Syrien?
Oftmals ist aber nicht nur der Hunger aufgrund von Dürre der Auslöser der Flucht, sondern meistens ist es ein Mix an Ursachen. Hungersnot führt oft genug auch zu Konflikten. Aktuell wird dies am Beispiel von Syrien diskutiert. Experten sehen eine extreme Dürre von 2006 bis 2011 als möglichen Katalysator für den Ausbruch des Syrienkriegs. Aufgrund von Folgen der Dürren sei demnach die Landbevölkerung in die Städte geflohen, dort löste der Ernährungsnotstand in Kombination mit politischer Instabilität einen Aufstand aus. Die „Ergebnisse“ sehen und spüren wir in nächster Nähe. Grundsätzlich sollte man solchen Theorien mit Vorsicht begegnen, da es sich als äußerst schwierig zeigt, Ursachen scharf abzugrenzen. Dennoch: Allein die Überlegung, dass die Syrienkrise wegen des Klimawandels entstanden sein könnte, sollte uns einmal mehr aufhorchen lassen.

Wie wollen wir mit unserem Planeten umgehen, wenn das die Folgen sein können? Der Fall Syrien ist aus klimapolitischer Sicht nur ein mögliches Warnzeichen, auch in anderen Ländern auf dem afrikanischen Kontinent steigt das Risiko eines Konflikts aufgrund von Auswirkungen des Klimawandels. Die extremen Dürren in Namibia und Äthiopien verlangen aktuell nach Soforthilfe und vor allem langfristigen Maßnahmen des Aufbaus. Vor allem der Kampf um Nahrung und um Wasser wird uns zukünftig stark beanspruchen. Die Entwicklungspolitik des BMZ setzt deshalb schwerpunktmäßig auf Maßnahmen zur sparsamen Wassernutzung, dem Wasserschutz und der Ernährungssicherung. Hier kann und muss aber noch viel stärker agiert werden.

Aber nicht nur der afrikanische Kontinent hat mit Klimakatastrophen zu kämpfen. In Südostasien warnen Wissenschaftler aktuell vor den Konsequenzen des sog. „Haze“, des Rauchnebels, der über weiten Teilen der Region festhängt. Der Haze ist die Folge von gezielten Bränden, die absichtlich aus Profitgier von Bauern und Konzernen in Indonesien gelegt werden, um neues Land für Plantagenanlagen zu schaffen. Die Behörden vor Ort haben vereinzelt schon mit der Evakuierung von Städten begonnen und bringen Haze-Flüchtlinge in Notsiedlungen unter. Noch fliehen die Indonesier innerhalb ihres Landes, trotzdem müssen sich die umliegenden Staaten Indonesiens mit besonderen Vorkehrungen und Einrichtungen auf zukünftige Flüchtlingsbewegungen einstellen.

Klimawandel treibt Menschen in die Flucht
Durch die Folgen des Klimawandels werden sehr viele Menschen fliehen müssen, was unsere globale Welt vor enorme Herausforderungen stellen wird. Wir erleben es gerade vor unseren Haustüren, dass Krisen, die sich vermeintlich weit weg von uns abspielen, irgendwann zu uns kommen. Wir sollten diesen Fehler, lange Zeit zuzuschauen und zu wenig zu agieren, nicht wiederholen. [quote]„Die Klimakatastrophe wurde global ausgelöst, also muss sie auch global gelöst werden.“ [/quote] Diese Worte von Bundesentwicklungsminister Müller möchte ich an dieser Stelle nur erneut bekräftigen.

Moderne Klima- und Umwelttechnik dürfen auch in den Entwicklungsländern kein Luxus sein, sondern müssten zum Alltag gehören. Sonst gibt es wie in Peking nur noch wenige Tage im Jahr an denen die Menschen die Sonne durch den Smog sehen können. Sonst fangen die Fischer keine Fische mehr, weil die Seen und Flüsse versalzen. Sonst bringen die Bauern keine Ernte mehr ein, weil Dürren und Überschwemmungen alles Leben zerstören.

Endlich – so hat es zumindest den Anschein – hat auch die politische Weltöffentlichkeit verstanden wie unglaublich wichtig handfeste Ergebnisse des Klimagipfels in Paris sind.
Sicherlich, Naturkatastrophen hat es immer gegeben. Doch werden die natürlichen Risikofaktoren der Ernährungssicherheit in ihrem Ausmaß durch den Klimawandel erheblich verstärkt. Und dieser Klimawandel ist menschlich bedingt! Sollte das globale Ziel, die Erderwärmung auf 2 Grad zu beschränken, nicht erreicht werden, drohen uns verheerende Auswirkungen auf die Welternährung.

80% der hungernden Bevölkerung lebt in katastrophengefährdeten Gebieten
Gemäß dem Weltrisikobericht werden Naturereignisse zur Katastrophe, wenn Menschen grundsätzlich verwundbar sind und dementsprechend gar nicht oder nur ungenügend vorsorgen oder reagieren können. Aktuell leben rund 80% der hungernden Bevölkerung in katastrophengefährdeten Gebieten. Wenn also schon vor einer Naturkatastrophe Nahrung nur unzureichend verfügbar ist – wie soll sich eine Bevölkerung während und nach einem Naturereignis ernähren können oder gar stabilisieren?

Die unmittelbaren Wechselwirkungen zwischen Ernährungsunsicherheit und Katastrophenrisiko gestalten sich hier dann als tödliche Abwärtsspirale: Trifft eine Katastrophe auf ein ernährungsunsicheres Gebiet bedeutet die Folge der Zerstörung von Wohnraum, Land, Viehbestand oder Ernte den unmittelbaren Verlust der Lebensgrundlage. Aufgrund des Existenzverlusts wird aus der Nahrungsmittelknappheit eine echte Krise, die langfristige Konsequenzen wie Unterernährung, Wachstumsrückstände etc. nach sich ziehen. Diese wiederum bedingen in den krisenanfälligen Regionen eine stärker geschwächte Widerstandsfähigkeit bei der nächsten Krise, die ganz bestimmt kommt.

Nach einer Studie des Norwegischen Flüchtlingsrats haben die Folgen von Naturkatastrophen im Jahr 2013 22 Mio. Menschen und damit dreimal mehr Menschen um ihr Zuhause gebracht als durch Konflikte. Klimaflucht ist also kein dunkles Zukunftsszenario sondern schon jetzt bittere Realität. In Extremfällen klimabedingter Migration müssen Menschen umgesiedelt werden, in günstigeren Fällen erfolgt dies als geplanter Prozess. Solide Prognosen in welchem Maß und in welchen Regionen der Klimawandel zur Flucht führt, können aktuell nicht abgegeben werden.

Deswegen ist gelungene ländliche Entwicklung und Ernährungssicherung, die zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit führt, stets auch Katastrophen- und Fluchtprävention. Gleichzeitig ist die Reduktion des Katastrophenrisikos ein wichtiger Faktor der nachhaltigen Ernährungssicherung.

Wie kann das in der Entwicklungspolitik aussehen?
Die Einrichtung von Monitoringstellen bei Regierungen anfälliger Länder führt zu einer kontinuierlichen Kontrolle und Evaluation der Maßnahmen. Hier muss stetig hinterfragt und überprüft werden, ob tatsächlich das Richtige auch richtig getan wird. Ganz wichtig ist daher die Einrichtung von Frühwarnsystemen um langfristiger Maßnahmen und Hilfe planen zu können.

In der ländlichen Bevölkerung muss für Aufklärung zur verbesserten Lagerung von Nahrungsmitteln, die Diversifizierung von Nahrungsmittelproduktion, Verwendung angepassten Saatguts und die Verbesserung von Anbaumethoden gesorgt werden.  Bauern, die verschiedene Produkte anbauen und sich nicht auf eine Sorte spezialisieren, haben nicht nur von Haus aus eine umfassendere Grundversorgung für ihre Familien, sondern sind in Krisenfällen besser abgesichert. Zerstört zum Beispiel ein Taifun die Getreidefelder, können sich die Familien von Knollenfrüchten ernähren, die unter der Erde wachsen und keinen Schaden genommen haben, bis sie die Felder wieder bestellen können.

Wir können mit der Entwicklungszusammenarbeit allein in den betroffenen Gebieten den Klimawandel nicht stoppen, das ist klar. Fakt ist aber, dass eine der Hauptfluchtursachen bereits heute die klimatischen Veränderungen sind. Deswegen reicht es nicht nur, wenn wir die Maßnahmen der Entwicklungspolitik auf Wirksamkeit und Zielgenauigkeit überprüfen, sondern es kommt darauf an, dass wir unseren Lebensstil grundsätzlich überdenken. Jeder einzelne von uns kann das tun. Brauchen wir wirklich noch diese Jeans, die in der Herstellung in Pakistan oder Bangladesh 8000 Liter Wasser benötigt? Dort wo die Wasserknappheit sowieso schon akut ist? Muss die Heizung wirklich den ganzen Arbeitstag durchheizen und Co2 ausstoßen, während wir überhaupt nicht zuhause sind?

In unserer vernetzten, globalisierten Welt, in der wir so eng miteinander verbunden und abhängig sind, wie nie zuvor, müssen wir uns endlich unserer Verantwortung bewusst werden. Ich kann meine Worte nur wiederholen: [quote]Entweder wir teilen unseren Wohlstand mit anderen, oder wir teilen mit anderen deren Leid. [/quote]

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