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Dieser Artikel stammt aus der Zeit meiner politischen Arbeit bis Oktober 2017 und kann überholte Informationen enthalten.
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Wie wollen wir in Zukunft leben? Die Nachhaltigen Entwicklungsziele.

Wie wollen wir in Zukunft leben? Die Nachhaltigen Entwicklungsziele.Etwas sehr Großes
Nach über 2 Jahren intensiver Verhandlungen steht die Verabschiedung der Nachhaltigen Entwicklungsziele, der SDGs, kurz bevor. Wir haben den größten Planungs- und Konsultationsprozess in der Geschichte der Vereinten Nationen hinter uns. Mehr als 60 Unterabteilungen der UN haben hier mitgewirkt, Regierungen, NGOs, Wissenschaftler, Wirtschaftsvertreter. Die Liste ist hier sehr lang. Wir sprechen hier über etwas sehr Großes.

Welthistorisches Ereignis

Von einem „welthistorischen Ereignis“ zu sprechen ist von der Wortwahl, wie ich denke, nicht übertrieben. Es ist schlicht und einfach angemessen. Der Nobelpreisträger Joseph Stieglitz hat schon 2006 in seinem Bestseller „Chancen der Globalisierung“ sein erstes Kapitel – und das wie ich finde sehr weitsichtig – überschrieben: Wie hat er es genannt? Er hat es genannt: „Eine andere Welt ist möglich“. Ich möchte hinzufügen: „Eine andere Welt ist nötig!“

Eine Frage des Überlebens

Es geht bei den SDGs um nicht weniger als um die Frage, wie die Menschheit in Zukunft leben und überleben kann und soll. Um die Frage, wie wir künftig leben wollen. Wie wir den zukünftigen Generationen unsere Welt hinterlassen wollen. Die Zielvorgaben der 2030-Agenda sind meiner Meinung nach das ambitionierteste Vorhaben, das jemals angegangen wurde. Keinen Deut weniger als das. Mit den SDGs betreten wir in vieler Hinsicht Neuland. Wir verfolgen einen Ansatz mit den drei Dimensionen, wirtschaftliche Entwicklung, soziale und ökologische Entwicklung. Einen dreidimensionalen Ansatz im doppelten Sinn.

Wir alle müssen einen neuen Weg einschlagen

Wir brechen hier das alte Geber- und Nehmerprinzip auf und setzen den Startschuss für eine echte globale Partnerschaft. Und ich betone hier das Wort Partnerschaft. Warum? Weil wir alle, und wirklich alle, einen neuen Weg einschlagen müssen. Die Post-2015 Agenda formuliert erstmals universelle Ziele. Mit den MDGs haben wir Ziele für die Entwicklungsländer formuliert. Mit den SDGs haben wir Ziele, die genauso für Industrieländer gelten. Wir werden damit gewissermaßen in einem positiven Sinn alle zu „Entwicklungsländern“.

Ende des Silo-Ansatzes

Das ist wirklich ein Paradigmenwechsel. Die nachhaltigen Entwicklungsziele sind aber nicht nur deswegen universell, weil sie erstmals auch für die Schwellen- und Industrieländer gelten. Sie sind auch deswegen universell, weil wir mit den SDGs die alte „Silomentalität“ überwinden wollen: Die in der Vergangenheit doch stark voneinander isolierte Verfolgung der einzelnen Entwicklungsziele im Rahmen des MDG-Prozesses. Wir müssen in Zukunft aber „out of the silos“, „out of the boxes“ denken. Die Dinge gemeinsam denken. Die großen Zusammenhänge bedenken, die Wechselwirkungen mitdenken. Wir müssen vor allem vordenken. Und das müssen wir zusammen tun. Alle gemeinsam!

Einiges erreicht, aber noch viel vor uns

Wir haben im Rahmen der MDGs doch einiges erreicht: Die Zahl der Menschen, die weltweit in absoluter Armut leben, konnte halbiert werden. Wir haben es geschafft, dass ebenso viele Mädchen wie Jungen die Grundschule besuchen. Die Zahl der Menschen, die ohne sauberes Trinkwasser auskommen müssen, konnten wir halbieren. Um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wir haben vieles erreicht, auch wenn wir uns noch mehr vorgenommen hatten. Auf manches können wir stolz sein. Was wir aber nicht können, ist uns ausruhen!

Flüchtlingskrise als endgültiges Warnsignal

Wir sehen mit der weltweiten Flüchtlingskrise, dass wir an einem Scheideweg stehen. Die Welt ist aus den Fugen geraten. 60 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Allein im letzten Jahr sind  laut UNHCR 13 Millionen Menschen dazugekommen. Das ist der höchste Anstieg innerhalb eines Jahres seit dem zweiten Weltkrieg. Ein historischer Anstieg, der uns noch mehr zum Nachdenken anregen muss. Fehlende Entwicklung löst Unzufriedenheit aus. Unzufriedenheit ist in vielen Fällen Nährboden für Gewalt. Gewalt führt zu Vertreibung, zu Instabilität. Instabilität erst lokal, dann regional und wie wir es gerade erleben, global.

Wir haben dazugelernt

In der entwicklungspolitischen Diskussion der letzten Jahre hat man oft das Mantra gehört: Gewaltsame Konflikte würden die Aufmerksamkeit von Entwicklungsfragen ablenken, zu reinem Sicherheitsdenken führen und dann passiere noch weniger im Sinne von Entwicklung, als sonst. Der Philosoph Thomas Pogge hat das als „Teufelskreis“ bezeichnet. Ich sage nein! Wir haben dazugelernt. Wir haben erkannt – und wir erkennen es jeden Tag mehr – dass wir viel mehr Geld in Entwicklung stecken müssen. Darum ist es richtig, dass wir mit 880 Millionen Euro mehr im nächsten Jahr eine Steigerung im BMZ-Haushalt beschlossen haben, die im „Entwicklungsjahr“ 2015 ein sehr deutliches Zeichen setzt. Auch die starke Erhöhung der Mittel für die Fluchtursachenbekämpfung ist richtig. Wir werden aber noch viel weiter gehen müssen.

Instabilität und Konflikt

Wir müssen insbesondere dort viel mehr Geld in Entwicklung stecken, wo Instabilität und Konflikte herrschen. Sicherlich lässt sich nicht jeder Konflikt alleine mit Entwicklungspolitik verhindern. Wenn wir zum Beispiel nach Syrien, den Irak oder nach Afghanistan schauen, haben wir hier ethnisch- konfessionelle Konfliktlinien. Wir haben die verschiedenen Interessen externer Mächte. Es spielen immer mehrere Faktoren eine Rolle. Es wäre vermessen zu sagen, dass wir hier alleine mit Entwicklungsmaßnahmen zu Lösungen kommen. Ohne Entwicklungsmaßnahmen – und davon bin ich fest überzeugt – kommen wir aber zu gar keinen Lösungen. Wo Armut ist, ist die Verzweiflung groß. Wer seine Kinder nicht ernähren kann, ist empfänglicher für die gute Bezahlung durch IS oder durch die Taliban. Empfänglicher für extremistische Ideologien. Auch beim verheerenden Konflikt zwischen Sudan gegen Südsudan haben armutsbedingte Verteilungskämpfe um Ressourcen – vor allem um Öl – mit eine Rolle für die heute desaströse Situation gespielt. Dafür, dass so viele Menschen aus ihrer Heimat flüchten müssen.

Armut und Ungleichheit zwischen Ländern beseitigen

Es gibt zahlreiche Beispiele, wo Ungleichheiten zwischen Ländern und innerhalb von Ländern zu Verteilungskonflikten, zu Gewalt und zu Vertreibung führen. Mit den Oberzielen 1 und 10, der „Beseitigung weltweiter Armut  in allen Formen“ und der „Verringerung der Ungleichheit in und zwischen Ländern“ setzen wir im Rahmen der Post-2015 Agenda hier an. Das sind meiner Meinung nach Ziele, die wir mit besonders großem Nachdruck verfolgen müssen.

Zugang zu Gerechtigkeit für alle

Ich möchte auch das Goal 16 hier hervorheben: „Friedliche und inklusive Gesellschaften“. Gesellschaften, wo alle Menschen Zugang zum Recht haben: Wo es keine funktionierenden Institutionen, keine funktionierende Justiz gibt, wo Menschen keine Gerechtigkeit einfordern können, da fliehen die Menschen vor staatlicher Willkür aus ihrem Land. Das können wir, denke ich, alle nachvollziehen. Die Globalisierung, auch in Form von Informationsflüssen, macht den Menschen Ungleichheiten stärker bewusst. Es entstehen mehr Fragen nach globaler Gerechtigkeit. Die Videos von freien Demonstrationen, die durch die neuen technischen Möglichkeiten immer mehr Menschen auf der Welt erreichen, lassen bei diesen Menschen die Frage aufkommen: Warum darf ich meine Meinung nicht sagen. Warum muss ich jeden Tag mit Angst leben und warum werde ich in meinem Land verfolgt? Ich ertrage das nicht mehr. Ich muss hier weg.

Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster

Es gibt immer mehr Menschen, welche es auch nicht weiter ertragen, für ein paar Cent am Tag 14 Stunden täglich in Fabriken zu arbeiten, wo sie jede Woche mitansehen, wie Kollegen und Freunde wegen unzureichender Sicherheitsstandards ums Leben kommen. Und trotzdem können sie ihre Familien nicht ernähren. Sie müssen ansehen, wie ihre Kinder arbeiten, damit die Familie satt wird. Wir kaufen dann die Jeans um 9 Euro. Die Menschen verlassen ihr Land, weil sie so nicht mehr weiter können. Und wir wundern uns? Ich spreche hier konkret das Ziel 12 der Post-2015 Agenda an: „Die Schaffung von nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern“. Dabei müssen wir uns aber selbst an die eigene Nase fassen. Mal nachdenken, was wir da tun, wem wir damit was antun und ob wir das verantworten können.

Bekämpfung des Klimawandels und dessen Auswirkungen

Es gibt immer mehr Menschen, die von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Immer mehr Menschen, die vor verheerenden Dürrekatastrophen fliehen. Wir erinnern uns noch alle an die furchtbaren Dürrekatastrophen in der Sahel-Zone und am Horn von Afrika. Das waren keine normalen Dürren mehr. Das waren Jahrhundertkatastrophen, wo über 11 Millionen Menschen innerhalb kurzer Zeit dem Hungertod nahe waren. Viele sind verhungert. Solche klimabedingten Katastrophen werden nach Ansicht der meisten Wissenschaftler weiter zunehmen. Deswegen möchte ich das Ziel 13 der Post-2015 Agenda besonders hervorheben: Die „Bekämpfung des Klimawandels und seiner Folgen“.
Das waren nur ein paar Beispiele. Beispiele, mit denen ich eines verdeutlichen will: Wir brauchen einen universellen Entwicklungsansatz. Alles hängt in unserer globalisierten Welt immer mehr mit allem zusammen. Nur einzelne „Silos“ zu bedienen wird uns angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht weiterführen.

Wir dürfen niemanden zurücklassen

Das wertvolle an den SDGs ist darum, das wir erkannt haben, dass wir auf allen Ebenen arbeiten müssen. Dass wir nach dem Prinzip arbeiten müssen: „Wir dürfen niemanden zurücklassen“. Dafür dürfen wir keinen Bereich ausgrenzen. Deutschland muss Vorbild sein und mit führen. Deutschland – und davon bin ich überzeugt – muss eine Vorbildrolle einnehmen. Eine Rolle, bei der wir unserer Verantwortung als reiches Land nachkommen und international mit Führung übernehmen. Wir haben hier mit unserer G7-Präsidentschaft vorgemacht, wie das gehen kann:
In Elmau haben wir bei den Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs einen großen Schwerpunkt auf Fragestellungen gesetzt, die in direktem Zusammenhang mit der Umsetzung der 2030-Agenda stehen. Das Ziel, bis 2030 500 Millionen Menschen von Hunger und Mangelernährung zu befreien. Das Ziel, nachhaltige Lieferketten weltweit und bessere Arbeits- Sozial- und Umweltstandards zu erreichen. An dieser Stelle möchte ich mal ganz deutlich unseren Minister Müller loben, der sich wie kein anderer zuvor für das Thema einsetzt. Ich möchte aber auch die insgesamt konstruktive Zusammenarbeit mit unserem Koalitionspartner loben. Wir haben in Elmau einen Konsens erreicht und klar herausgestellt, dass Armut und mangelnde Teilhabe den Terroristen in die Hände spielen und dass wir deswegen hier noch viel stärker an den Ursachen ansetzen müssen. Bis 2050 wollen wir die Treibhausgasemissionen gegenüber 2010 um 40-70 Prozent verringern. Bis Ende des Jahrhunderts die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft erreichen und dafür bis 2050 die Energieversorgung vollständig umbauen. Die Entwicklungsländer noch viel stärker beim Klimaschutz unterstützen. 100 Milliarden jährlich werden wir für den Klimaschutz aufwenden, um die Erreichung des 2-Grad Ziels zu schaffen.

Wie vermeiden wir negative Auswirkungen unserer Politiken auf andere?

Uns als reichen Ländern kommt für die Umsetzung der SDGs eine ganz besondere Verantwortung zu. Wir Industriestaaten müssen den anderen bei der Verwirklichung ihrer Ziele helfen. Eine ganz wichtige Frage, die uns immer leiten muss, ist dabei: Wie lassen sich negative Auswirkungen unserer eigenen Politiken auf ärmere Länder vermeiden?

Neue Wege bei der Entwicklungsfinanzierung

Um die Ziele zu erreichen, müssen wir, aufbauend auf den Ergebnissen von Addis Abeba, so schnell wie möglich die Marke erreichen, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden. Für ganz wichtig halte ich es auch, dass wir den Anteil unserer ODA für die am wenigsten entwickelten Länder, die LDCs, erhöhen. Wenn wir bei der Umsetzung der SDGs erfolgreicher sein wollen, als bei den MDGs, müssen wir die 0,2 Prozent des BNE für die LDCs deutlich vor 2030 erreichen. Das ist mir ganz besonders wichtig, weil in diesen Ländern jeden Tag Menschen verhungern. Kinder sich wegen Mangelernährung schlecht entwickeln. Wie soll so etwas entstehen? Das müsste nicht sein. Das darf nicht sein! Wir brauchen eine neue, eine innovative Entwicklungsfinanzierung, wenn wir wirklich vorankommen wollen. Eine stärkere Mobilisierung einheimischer Ressourcen. Eine stärkere Einbeziehung privater Ressourcen. Wir brauchen eine größere Gesamtanstrengung aller Länder!

Die Schwellenländer müssen mitziehen

Ein Punkt, mit dem ich hier überhaupt noch nicht zufrieden bin, ist die Haltung einiger Schwellenländer bei der Übernahme von Verantwortung für die Erreichung der SDGs: Die Schwellenländer müssen bei der Entwicklungsfinanzierung meiner Meinung nach noch viel stärker in die Verantwortung genommen werden. Deutlicher zeigen, dass sie an einer nachhaltigen Entwicklung mitgestalten wollen. Vielen dieser Länder wurde geholfen. Jetzt müssen sie sie selbst entlang ihrer Möglichkeiten helfen. Sie müssen auch den Entwicklungsländern helfen, in die Lage zu kommen, sich besser selbst helfen zu können. Das gehört für mich zu einer wirklich universalen Agenda dazu. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen. Es darf nicht sein, dass Solidarität nur solange auf die Fahnen geschrieben wird, bis es einem selbst besser geht und die Fahne dann eingerollt wird.

Verbindung von Entwicklungs- und Klimazielen

Das Besondere und Einzigartige an der 2030-Agenda ist die starke Verbindung von Entwicklungs- und Klimazielen. Wir müssen hier mit Blick auf die UN-Klimakonferenz in Paris zu einem großen Wurf kommen. Von Paris muss ein wichtiges Signal für einen kohlenstoffarmen und nachhaltigen Entwicklungspfad ausgehen! Wir müssen entschlossen und mit schnellen Schritten einen nationalen Umsetzungsplan und eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie für die Erreichung der SDGs erarbeiten, mit der wir als Vorbild vorangehen können. Andere Länder motivieren, es uns gleich zu tun.

Glaubwürdigkeit von Politik und die Zukunft der Menschheit

Die SDGS bieten eine echte Chance für nachhaltige Entwicklung. Eine Entwicklung mit sozialer Verantwortung, mit ökologischem Gleichgewicht, mit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, aber auch politischer Teilhabe. Ohne die konkrete Umsetzung bleiben die Ziele aber nichtssagend und wirkungslos. Um es zu schaffen, müssen wir die Öffentlichkeit noch stärker für die globale Agenda sensibilisieren. Wir gehen mit der Umsetzung der SDGs eine sehr große Aufgabe an. Letztendlich geht es dabei für uns als Politiker um nicht weniger als um die Glaubwürdigkeit von Politik. Für uns als Menschen um unsere Zukunft.

Die Nachhaltigen Entwicklungsziele werden am Ende so wirkungsvoll sein, wie wir sie machen.

Wie wollen wir in Zukunft leben? Die Nachhaltigen Entwicklungsziele.

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