Neben Kriegen und ihren verheerenden Folgen für ganze Regionen, die im ersten Teil des Blogbeitrages skizziert worden sind, gibt es weit mehr Ursachen, die Menschen das Risiko der lebensbedrohlichen Flucht eingehen lassen. Im Folgenden möchte ich drei weitere Hauptgründe beleuchten, denen wir bewusst und vor allem ganz gezielt entgegenwirken müssen.
Politische Verfolgung & Unterdrückung
Sehr häufig machen sich Menschen auch aufgrund von politischer Verfolgung und der Einschränkung ihrer Freiheit auf den Weg. Dies betrifft vor allem Menschen, die sich gegen totalitäre Regime stellen, die „falsche“ Religion oder sexuelle Orientierung haben oder ethnischen Minderheiten angehören. In Uganda zum Beispiel sehen sich Homosexuelle schlimmsten staatlichen Repressionen ausgesetzt. Ich habe deshalb für die Preisträgerin des Nürnberger Menschenrechtspreises, Kasha Jaqueline Nabagesera, im Rahmen des Programms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ des Deutschen Bundestags schon vor einiger Zeit eine Patenschaft übernommen. Kasha engagiert sich seit Jahren für die Gleichstellung Homosexueller und für LGBT-Rechte. Dabei riskiert sie täglich ihr eigenes Leben, um den betroffenen Minderheiten in Afrika zu helfen. Inzwischen wurde Kasha auch mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.
Länder ohne funktionierende Justiz, mit einem Alltag voll staatlicher Willkür und Repression bieten keine Möglichkeit für ein normales Leben, wie zum Beispiel in Eritrea, von wo viele Menschen wegen politischer Verfolgung fliehen. Hier ist es Menschen, wie in vielen anderen Ländern, nicht erlaubt ihre Meinung frei zu äußern. Aus Angst, dass sie so wie zahlreiche ihrer Freunde eingesperrt und gefoltert werden, weil sie offen demonstrieren und gegen korrupte Machthaber und ein diktatorisches Regime aufbegehren, werden Menschen aus Angst in die Flucht getrieben.
Deswegen müssen wir in Ländern, in denen Unfreiheit herrscht, Rechtsstaatlichkeit, Demokratisierung und Versöhnung fördern. Wir müssen Richter und lokale Verwaltungsbeamte ausbilden, um eine funktionierende Justiz aufzubauen. Es gilt, freie und pluralistische Medienlandschaften zu fördern, damit die Zivilgesellschaften ihre korrupten politischen Führungen besser kontrollieren und sich aktiv an Lösungen beteiligen können. In Staaten mit korrupten Apparaten und demokratisch schwach legitimierten Strukturen, versickern unsere an Regierungsstellen ausgezahlten Entwicklungsgelder leider oft bei den Eliten, die sich mit diesen Geldern bereichern. Bei der Bevölkerung kommt meist kaum etwas an. Wir müssen darum mit unserer Entwicklungszusammenarbeit direkter als zuvor die Strukturen der Zivilgesellschaft unterstützen, damit sie aktiv an der Entwicklung ihres Landes mitwirken und mitgestalten kann. Wir stärken die Menschen bei der Einforderung von Gerechtigkeit und Freiheit. Gerechtigkeit schafft Perspektiven, Perspektiven verhindern Flucht.
Hunger & extreme Armut
Obwohl wir die Anzahl der hungernden und extrem armen Menschen auf der Welt seit dem Jahr 2000 halbieren konnten, ist extreme Armut noch immer eine der häufigsten Fluchtursachen. Besonders verheerend sind die Zustände zum Beispiel in der Sahel-Zone, den afrikanischen Staaten von Senegal im Westen, über Mauretanien, Mali, Burkina Faso bis nach Eritrea im Osten. Mit der Förderung der Landwirtschaft verbessern wir gezielt die Ernährungssicherung auf dem Land. Wenn wir der Bäuerin in Burkina Faso oder in Mali mit Aufklärungsmaßnahmen dabei helfen, ihren Ertrag und ihre Verkaufsmöglichkeiten zu verbessern, dann kann sie ihre Kinder ernähren. Uns ist hinreichend bekannt, zu welch verheerenden Folgen Mangelernährung in den ersten drei Lebensjahren führt.
Aber nicht nur die Bevölkerung auf dem Land leidet unter Armut, sondern auch die Menschen in den Städten. Rapides Bevölkerungswachstum und Krisen treiben arme Menschen vom Land in die Stadt, in der Hoffnung, dort bessere Überlebenschancen vorzufinden. Die Beschäftigungsmöglichkeiten sind dort aber auch nicht in dem erwarteten Maße vorhanden, weshalb sich die Flüchtlinge weiter auf den Weg in andere Länder machen. Hier sind auch einige Länder in Asien betroffen. Ein Beispiel ist Bangladesch, wo katastrophale Lebensverhältnisse in den städtischen Slums, ausbeuterische Arbeitsbedingungen und Probleme wie Kinderarbeit viele Menschen zur Flucht bewegen. Deshalb sind die Herausforderungen der Urbanisierung auch ein großes Thema der Entwicklungspolitik, da 90 Prozent der Verstädterung in Schwellen- und Entwicklungsländern stattfindet und vor allem, da weit über die Hälfte der Stadtbewohner unter 18 Jahren sind.
Funktionierende Megacities, die ihren neuen Bewohnern Ausbildung und berufliche Zukunft bieten können, sollten demnach auch noch viel stärker in unseren Fokus der Fluchtursachenbekämpfung rücken. Wer seine Kinder hungern sieht, sucht selbstverständlich nach Auswegen. Viel zu oft ist der einzige Ausweg die Flucht. Neben Maßnahmen zur Ernährungssicherung bedeutet dies auch den Ausbau flächendeckender medizinischer Versorgung und vor allem die Beschäftigungsförderung in den urbanen Räumen. Nahrung und Beschäftigung schaffen Perspektiven, Perspektiven verhindern Flucht.
Klimawandel
Was in der öffentlichen Debatte bisher zu wenig Beachtung gefunden hat, ist der Klimawandel als Fluchtursache. Die Folgen des Klimawandels, wie etwa zunehmende Dürrekatastrohen, Überschwemmungen, Nahrungsmittelkrisen und Hungerkatastrophen werden zu weiteren heftigen Migrationsbewegungen führen. Am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind die Entwicklungsländer. Der aktuelle Weltrisikobericht von „Bündnis Entwicklung hilft“ zeichnet aktuell ein alarmierendes Bild: In den Ländern, in denen es bereits an der Grundversorgung mangelt, ist die Anfälligkeit der Bevölkerung gegenüber Naturkatastrophen und Klimagefahren dramatisch erhöht. Für ca. 2.5 Milliarden Menschen weltweit hängt das Leben unmittelbar von der Landwirtschaft ab. Wenn ihre Ernten, ihr Vieh oder ihre Transportwege von einer Naturkatastrophe zerstört werden, ist automatisch ihre Existenz zerstört. Damit entstehen wieder neue Fluchtursachen. Die Weltbank geht bis 2050 von bis zu 200 Millionen Klimaflüchtlingen weltweit aus. Auch hier kann die Entwicklungszusammenarbeit ganz gezielt einen Beitrag leisten: Moderne Bewässerungssysteme aufbauen, Frühwarnsysteme etablieren, die lokalen Infrastrukturen verbessern oder den Bauern mit Ernteausfallversicherungen helfen, sich gegen Pleiten abzusichern- um nur einige Beispiele zu nennen.
Wir brauchen noch mehr Mittel
Ich habe mich im Entwicklungsausschuss intensiv dafür eingesetzt, dass die Mittel für die drei Sonderinitiativen des BMZ „EineWelt ohne Hunger“, „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren“ und „Stabilisierung und Entwicklung Afrika-Nahost“ für 2016 auf insgesamt 400 Millionen Euro erhöht und damit verdoppelt werden. Bei den aktuellen Haushaltsberatungen konnten wir es durch Umschichtungen im BMZ-Haushalt zumindest erreichen, dass dem BMZ für 2016 zusätzlich noch 370 Millionen Euro für die Haushaltstitel „Fluchtursachen bekämpfen“ und „Krisenbewältigung“ zur Verfügung stehen werden. Damit werden wir im nächsten Jahr zwar deutlich mehr Geld für die Bekämpfung von Fluchtursachen zur Verfügung haben als 2015. Ich muss aber sagen, dass ich mir angesichts der riesigen Herausforderung, vor der wir stehen, noch viel mehr Geld für die Fluchtursachenbekämpfung gewünscht hätte, weil die Kürzungen in anderen Bereichen, die mit der Umschichtung im Haushalt verbunden sind, Lücken an anderen Stellen aufreißen können. Hier können die Krisen von morgen entstehen.