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Dieser Artikel stammt aus der Zeit meiner politischen Arbeit bis Oktober 2017 und kann überholte Informationen enthalten.
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Das Schicksal der Flüchtlinge geht uns alle an

20140904-Dagmar-Woehrl-mit-Fluechtlingen-im-Fluechtlingszelt-DeutschherrnstrasseKaum ein Thema ist in den letzten Wochen und Monaten so präsent in den Medien, wie die internationale Flüchtlingskatastrophe.

Morgen wird das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, wie jedes Jahr am 20. Juni die genauen Flüchtlingszahlen vorstellen. Dabei müssen wir mit einem neuen Negativrekord rechnen. Es ist zu befürchten, dass die Zahl von 59 Millionen wohl noch überschritten wird. Das ist der höchste Stand, der seit der Gründung des UNHCR jemals verzeichnet wurde. Allein letztes Jahr sind über 13 Millionen Menschen in die Flucht getrieben worden. Die größte Steigerung innerhalb eines Jahres, die wir seit dem Ende des 2. Weltkriegs bislang hatten. Innerhalb von zehn Jahren hat sich damit die Zahl der Flüchtlinge fast verdoppelt! Diese Zahlen sind schwer fassbar.

Es macht mich traurig, bestürzt und fassungslos zugleich, was auf dem Mittelmeer passiert. Es ertrinken so viele Menschen bei ihrer Flucht nach Europa, wie nie zuvor. Aber nicht nur im Mittelmeer gibt es eine Flüchtlingskatastrophe. Auch in Asien ertrinken Menschen auf ihrem Weg dabei, in freiere und wohlhabendere Länder zu fliehen.

Die Bootsflüchtlinge erfahren vergleichsweise viel mediale Aufmerksamkeit. Oft kann das zumindest helfen, ihre Lage etwas zu verbessern. Von den Menschen, die über Land fliehen, bekommen wir in den Medien weniger mit. Und am wenigsten von den vielen Millionen Binnenvertriebenen, die in ihren Heimatländern selbst fliehen mussten und sich in andere Landesteile aufgemacht oder im Nachbarland Zuflucht gesucht haben. Das sind oft vergessene Schicksale. Viele dieser Menschen bleiben ihrem Schicksal dann auch selbst überlassen. Über zwölf Millionen Syrer mussten schon fliehen, vier Millionen davon ins Ausland.

Die Bilder von den Flüchtlingen, die uns erreichen, sind schrecklich. Die meisten dieser Menschen sind vor Gewalt, politischer Verfolgung, Unterdrückung, aber einfach auch vor Hunger und aus purer Verzweiflung geflohen.

Sie haben sich auf den Weg gemacht, weil sie in ihrer Heimat die tägliche Angst vor Bomben nicht mehr ausgehalten haben. Weil sie das Geheule der Sirenen und die Schreie der Verwundeten nicht mehr hören konnten. Weil sie Angst hatten, dass ihre Kinder am nächsten Tag dasselbe Schicksal ereilt, wie die Kinder des Nachbarn, dessen Sohn in einer Baracke notdürftig die Granatsplitter aus dem Körper operiert wurden. Sie haben es nach Jahren gewagt, sich zu ihrer sexuellen Neigung zu bekennen. Oder wollten einfach nur ihre politische Meinung frei äußern und hielten es nicht mehr aus, zu sehen, wie einer ihrer Freunde nach dem anderen eingesperrt wurde, weil er sich getraut hatte, gegen die korrupten Machthaber und das diktatorische Regime aufzubegehren. Offen zu demonstrieren.

Ein großer Teil dieser Menschen, welche die schwere Entscheidung getroffen hat, alles aufzugeben und sich auf den Weg ins Ungewisse zu machen, hatte einfach nur Angst.
Ich habe mit sehr vielen Flüchtlingen gesprochen und zahlreiche Flüchtlingslager besucht. Dort habe ich Kindern in die Augen gesehen, die so verängstigt waren, dass sie bei jedem lauten Geräusch sofort zusammengezuckt sind und sich die Hände über den Kopf hielten. Mütter, die nicht aufhören konnten zu weinen und gestandene Männer, Familienväter, die hilflos in die Leere gestarrt haben. Männer, die in ihrem Heimatland etwas aufgebaut hatten. Die erfolgreich im Beruf waren, die in ihrer Nachbarschaft geachtet und mit Respekt behandelt wurden. Jetzt sitzen die Männer vor einem Flüchtlingszelt im Staub und fühlen sich hilflos. Sie hatten sich angestrengt, ihrer Familie ein gutes Leben zu bieten. Dann kam der Krieg und der Terror und jetzt sitzen sie hier und können nichts für ihre Familie tun. Das muss eine der schlimmsten Formen von Ohnmacht sein, die man sich vorstellen kann.

Es ist eine sehr schwierige und komplexe Situation. Als Entwicklungspolitikerin kämpfe ich täglich dafür, die Umstände in den Ländern zu verbessern, aus denen die Menschen fliehen. Da gibt es die internationale Ebene, wo wir gemeinsam Fluchtursachen bekämpfen müssen. Es gibt die europäische Ebene, wo wir zu einem schlüssigen Konzept und solidarischen Lösungen im Umgang mit Flüchtlingen gelangen müssen. Die nationale Ebene, wo bei der Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Kommunen verschiedene Interessen aufeinandertreffen.
Deutschland und Europa können natürlich nicht alle Probleme der Welt lösen. Aber eine immer größere Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist dafür, mehr Flüchtlinge aufzunehmen und mehr zu helfen. Das ist gut so. Gleichzeitig gibt es aber auch Sorgen in der Bevölkerung beim Thema Flüchtlinge, die wir sehr ernst nehmen müssen. Ich denke, es ist dabei wichtig, dass wir noch stärker zwischen den Menschen unterscheiden, die wirklich Schutz brauchen und denen, die sich auf den Weg machen, um ihre materiellen Lebensumstände zu verbessern. So hart das in manchen Fällen auch sein mag.

Wir müssen einen kühlen Kopf behalten und das Problem rational angehen. Nur so kommen wir zu tragfähigen Lösungen und die brauchen wir, wenn wir wirklich helfen wollen. Das ist bei so einem Ausmaß an menschlichen Tragödien nicht immer einfach. Weil wir Menschen sind uns das Gebot der Nächstenliebe intuitiv antreibt, zu helfen.

Wir sind ein reiches Land und trotzdem gibt es auch bei uns Menschen, die große Probleme haben. Wir sind Arbeitnehmer, Steuerzahler, Träger von Sozialleistungen, Mütter und Väter, die auch in ihrem eigenen privaten Umfeld Probleme haben, die gelöst werden müssen.
Aber in erster Linie bleiben wir Menschen. Menschen, die helfen wollen und es noch mehr tun können. Weil es uns besser geht, als denen, die zu uns fliehen.

Das Schicksal der Flüchtlinge lässt keinen von uns kalt.
Es geht uns alle an!
Wir sollten am Weltflüchtlingstag alle überlegen, was wir tun und ob wir noch mehr tun können.

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