Mit der heute beginnenden G20-Präsidentschaft Deutschlands übernehmen wir eine große Verantwortung in unsicheren Zeiten. Wenn ich mir die wenig berechenbare Politik in Russland und der Türkei, den EU-Austritt Großbritanniens und die offenen Fragen zum Kurs der neuen Führung in den USA anschaue, dann kommt Deutschland eine besonders wichtige Rolle für Stabilität bei den G20 zu. Die Konflikte in Syrien und der Ukraine sind nicht gelöst. Die Folgen des anstehenden Referendums in Italien für die politische Entwicklung im Land für die nächsten Monate sind nicht genau absehbar.
Insgesamt sind das schwierige Voraussetzungen dafür, eine G20-Präsidentschaft zum Erfolg zu machen. Aber wir werden alles daran setzen, dass im Juli 2017, wenn die Welt auf den G20-Gipfel in Hamburg schaut, Erfolge vorzuweisen sind.
Die G20 haben als Format in den letzten Jahren eine ständige Aufwertung erfahren. Das Forum ist erwachsen geworden. Als die G20 vor 17 Jahren ins Leben gerufen wurden, waren sie noch eine deutliche Nummer kleiner. Sie waren als bloßes Treffen der Finanzminister gestartet. Während der weltweiten Finanzkrise 2008 wurden sie dann politisch als Gremium zur weltweiten Finanzmarktregulierung aufgewertet. Über diese Rolle als Feuerlöscher sind sie aber längst hinausgewachsen. Das ist auch mit den seit 2008 jährlich stattfindenden Treffen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs und der Zunahme der Themen deutlich geworden.
Das Thema „Stabilität der Weltwirtschaft“ steht bei der deutschen Präsidentschaft ganz oben auf der Agenda. Die Weltwirtschaft wächst derzeit so schwach, wie seit fünf Jahren nicht mehr, das gilt sowohl für die Industrieländer wie auch für die Schwellenländer. Wirtschaftliche Entscheidungen auf anderen Erdteilen wirken sich immer mehr direkt auf Lebensbereiche bei uns aus. Hier ist Abstimmung darum wichtiger, als je zuvor. Die G20 bieten den idealen Rahmen, um solche Themen anzusprechen und zu bearbeiten. Beim letzten G20-Gipfel in Hangzhou während der chinesischen Präsidentschaft, konnte so zum Beispiel das Thema der chinesischen Überproduktion im Stahlbereich angesprochen werden, die in anderen Ländern zur Gefährdung oder zum Verlust von Arbeitsplätzen in der Stahlbranche und in der Politik international zu Verstimmungen geführt hat. Wo, wenn nicht beim G20-Treffen, bei dem die Staats- und Regierungschefs am runden Tisch die Gelegenheit haben, persönlich miteinander diese Themen zu besprechen, können für solche Fragen Lösungen gefunden werden?
Die Auswirkungen der Globalisierung bereiten vielen Menschen Sorgen. Die Globalisierung bietet große Chancen, bringt aber eben auch ganz neue Herausforderungen mit sich. Viele Bürger haben Sorge, Nachteile durch die Globalisierung zu erfahren, persönlich abgehängt zu werden. Populisten feuern diese Ängste an und bieten vermeintlich einfache Antworten. Sie erklären die nationale Abschottung als Heilmittel gegen alle möglichen Risiken der Globalisierung. In vielen Staaten gibt eine Tendenz zu Protektionismus und Abschottung nationaler Märkte, zu Nationalismus und zu Fremdenfeindlichkeit.
Wenn sich die Staaten aber ins Nationale zurückziehen und jeder für sich allein vor sich hinarbeitet, dann bringt das uns nicht weiter. Protektionismus, Abschottung und Nationalismus sind Konzepte von gestern, die bei den vielfältigen internationalen Verflechtungen, wie sie heute bestehen, nicht mehr funktionieren. Herausforderungen der internationalen Finanzmarktregulierung, die globale Flüchtlingskrise, Klimaschutz, Terrorismus, ein faires Welthandelssystem: In keinem dieser Bereiche machen die Probleme vor nationalen Grenzen halt. In keinem dieser Bereiche können Lösungen allein auf nationaler Ebene gefunden werden. Statt Angst und Abschottung vor der Globalisierung braucht es meiner Meinung nach: Eine noch engere internationale Zusammenarbeit, um gemeinsam aktiv auf die Art und Weise der Globalisierung Einfluss zu nehmen. Nur so können wir die Auswirkungen, wo nötig, auch korrigieren. Der Club der wichtigsten Wirtschaftsnationen, der zwei Drittel der Bevölkerung und 80 Prozent der Wirtschaftsleistung der Welt versammelt, ist genau der richtige Rahmen dafür. Mit der deutschen G20-Präsidentschaft haben wir eine Chance, die Agenda dieses wichtigen Forums zu gestalten, was nicht weniger bedeutet, als die Globalisierung zu gestalten.
Wo müssen wir in dem Jahr unserer Präsidentschaft Schwerpunkte setzen? Wirtschaftlich sollten wir ein klares Bekenntnis zum Freihandel von unseren G20-Partnern einfordern und damit einen Gegenentwurf zu den zunehmenden protektionistischen Strömungen präsentieren. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, wie freier Handel zu Wohlstand beitragen kann. Als Exportnation hat Deutschland ein besonderes Interesse an freien Märkten. Mit Blick auf den aktuell bei einigen G20-Partnern weit verbreiteten Ruf nach Belebung der Wirtschaft durch große Konjunkturprogramme, sollte Deutschland die Bedeutung von Strukturreformen für Wirtschaftswachstum betonen. Für ein Wachstum, das eben nicht nur kurzzeitige Effekte bringt, sondern auch nachhaltig, inklusiv und krisenfest angelegt ist. Wichtig wird auch das Thema Steuern sein. Hier gilt es, bei der internationalen Regulierung weiter voran zu kommen und einen selbstzerstörerischen Wettbewerb um Steuerdumping in Form eines gegenseitigen Unterbietungswettlaufs zu verhindern, der sich mit den Entwicklungen in Großbritannien und den USA andeutet.
Nach dem Abkommen von Paris ist Deutschland beim Klimaschutz jetzt gefragt, im G20-Rahmen Impulsgeber für die nächsten Schritte zu sein. Die Ziele des Abkommens werden nur erreichbar sein, wenn die G20 sich darauf verständigen, hier eine führende Rolle zu spielen.
Im Bereich Gesundheit wird es nicht nur um den weltweiten Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen gehen, sondern auch darum, dass die G20 sich besser gegenüber globalen Pandemien rüsten. Die Ebola-Krise hat gezeigt, welche verheerenden Auswirkungen ein Virus haben kann, wenn wir nicht genügend darauf vorbereitet sind. Ebola hat in kürzester Zeit ganze Länder um viele Jahre in ihrer Entwicklung zurückgeworfen. Bei meiner Reise in die Region im letzten Jahr habe ich mir persönlich ein Bild davon gemacht, welche verheerenden Auswirkungen Ebola für die Menschen dort hatte. Erwachsene konnten nicht mehr arbeiten gehen, Kinder nicht in die Schule, der Handel mit den Nachbarländern ist zum Erliegen gekommen, die Menschen waren verunsichert und traumatisiert. Länder wie Liberia standen lange Zeit still. Es war schrecklich mitanzusehen. Die Folgen werden noch lange spürbar sein. Die Weltgemeinschaft war nicht darauf vorbereitet. So etwas darf sich nicht wiederholen. Zum einen muss Deutschland im Rahmen der G20 darum deutlich ambitioniertere Vorschläge zur weiteren Stärkung der Krisenreaktionsfähigkeit der Weltgesundheitsorganisation vorlegen und die G20 dafür gewinnen, diese finanziell auch unterfüttern. Zusätzlich müssen die G20 ihre wirtschaftliche Macht dafür einsetzen, bei der Entwicklung neuer Impfstoffe voranzugehen und sich beim Ausbau von Gesundheitssystemen in Entwicklungsländern besser abstimmen.
Entwicklungspolitisch steht Afrika im Mittelpunkt der deutschen G20-Agenda. Auch mit Blick auf die Fluchtursachenbekämpfung wird Afrika die große Herausforderung der nächsten Jahre sein. Die führenden Wirtschaftsnationen haben eine besondere Verantwortung dabei, die Lebensbedingungen der Menschen in Afrika zu verbessern. Die deutsche G20-Präsidentschaft muss ambitionierte Konzepte vorlegen, wie stabile Rahmenbedingungen für Investitionen geschaffen werden können, wie Bildung, Beschäftigung und der Ausbau von Infrastruktur gefördert werden können. Wie die G20 zur Stärkung der Rolle der Frauen und zur Prävention und Beilegung von gewaltsamen Konflikten beitragen können, die Entwicklung verhindern und zunichte machen.
Die deutsche G20-Präsidentschaft bietet die Möglichkeit, den Blick der Weltöffentlichkeit auf Afrika zu richten und die Welt auf die Situation dort aufmerksam zu machen. Als Entwicklungspolitikerin freue ich mich darum schon besonders auf die Konferenz zur „Partnerschaft mit Afrika“ im Juni in Berlin.
Deutschland sollte bei all diesen Initiativen mit seiner Präsidentschaft das Ziel verfolgen, die G20 noch viel stärker als das zu positionieren, was sie angesichts ihrer wirtschaftlichen und politischen Macht sein müssen: Eine Verantwortungsgemeinschaft für die Gestaltung einer gerechten Globalisierung.